IST-STAND UND BEDARFE IN SALZBURG

OFFENER BRIEF ZUR LAGE DER WLH IN SALZBURG

Corona-Krise und Lockdown seit März 2020 haben die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe (WLH) auch in Salzburg sehr beeinträchtigt. Der wirtschaftliche Stillstand und der darauf begründete Anstieg von Arbeitslosigkeit sowie von Kurzarbeit führen zu weitreichenden Einkommenseinbußen und einer Verschärfung von Wohnungsnot, deren Folgen aktuell noch gar nicht abgeschätzt werden können.

Die Mitglieder der Forums WLH haben aktuell eine Ist-Stands-Erhebung der Hilfeangebote in Zeiten von Krise und Lockdown durchgeführt und möchten mit diesem Offenen Brief zum einen hervorheben, dass trotz Krise weiter an der sozialen und Wohnsicherheit der Salzburger*innen gearbeitet wurde. Zum anderen wird bereits jetzt sichtbar, dass der Bedarf nach Hilfen zur Gewährleistung von Existenzsicherung und adäquater Wohnversorgung ansteigen und aller Voraussicht weiter steigen wird.
 

Salzburg, 12.5.2020, Heinz Schoibl
 

Große Einkommenseinbußen zu verzeichnen

Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt[1]
Mit Stichtag Ende April waren in Salzburg exakt 29.833 Personen arbeitslos vorgemerkt  + 101, 8 Prozent oder 15.061 zusätzliche Arbeitslose. ... Zählt man zu den aktuellen Arbeitslosen noch die 1668 Schulungsteilnahmen (-32,3%) dazu, waren Ende April 31.501 Personen ohne Beschäftigung ... Besonders stark von der Zunahme der Arbeitslosigkeit betroffen sind jüngere Arbeitnehmer*innen, jünger als 25 Jahre + 130%.

Deutlicher Rückgang offener Stellen
Die Zahl der dem AMS Salzburg zur sofortigen Besetzung gemeldeten offenen Stellen ist dagegen um nahezu vierzig Prozent (-39,9%) auf knapp viertausend (3.978) zurückgegangen.

Kurzarbeit sichert 41.000 Arbeitsplätze
Mit Stand 17. April hatte das AMS Salzburg 5.733 Anträge auf Kurzarbeit im System erfasst. „Dieser Kraftakt in kürzester Zeit in einer nie dagewesenen Ausnahmesituation wird zum gegenwärtigen Stand die Arbeitsplätze von rund 41.000 Menschen sichern“, betont Jacqueline Beyer, Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice Salzburg, die noch mit einer Erhöhung der Anträge „auf gut sechstausend“ rechnet.“[2]

Prävention von Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit – jetzt und nach der Krise
Arbeitslosenunterstützung (55% des Nettoeinkommens) und Kurzarbeit (-20%) bedeuten, dass ab Mai 2020 geballt Probleme mit laufenden Zahlungsverpflichtungen, insb. Miete und Darlehensrückzahlungen, auftreten und viele Haushalte vor große Herausforderungen und existentielle Krisen stellen werden.
Auch wenn die Bundesregierung Delogierungsverfahren und unmittelbare Wohnungsverluste ausgesetzt hat, so sind doch auch auf regionaler und kommunaler Ebene Maßnahmen zur Prävention von Wohnungslosigkeit unerlässlich.[3] 

 

Maßnahmen zur Prävention von Wohnungslosigkeit:

  • Einkommenssicherung: Einrichtung eines Härtefonds, um Einkommenseinbußen durch Lockdown abfedern und sozialen Folgen derselben vorbeugen zu können. Mittel aus diesem Härtefallfonds sollte im Sinne der effektiven Soforthilfe ohne bürokratische Hemmnisse und ohne wochenlanges Warten auf Bestätigung der Unterstützung ausbezahlt werden.
     
  • Wohnungssicherung und Prävention von Wohnungslosigkeit: Familien, die aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation die laufenden Miet- und Darlehensrückzahlungen nicht stemmen können, werden spätestens bei Fälligstellung dieser gestundeten Mietschulden schnelle und unbürokratische Hilfen benötigen, um den Wohnungsverlust vermeiden zu können. Das betrifft gleichermaßen finanzielle Unterstützung als auch das Angebot sozialarbeiterischer Abklärung und persönlicher Hilfestellung.
     
  • Grundrecht auf Wohnen: Generell soll im engeren Rahmen der kommunalen Wohnpolitik sichergestellt werden, dass in Zukunft keine Delogierung in Wohnungslosigkeit mehr stattfinden darf. Es gilt sicherzustellen, dass vor der Anberaumung von Delogierungsterminen verbindlich eine sozialarbeiterische Beratung eingeschaltet wird.
     
  • Ambulant betreutes Wohnen: Das erfolgreiche Modell von Housing First zur Bewältigung von (chronischer) Obdachlosigkeit soll schrittweise ausgebaut und die Reichweite auch auf andere Zielgruppen systematisch erweitert werden.
     
  • Abbau von Zugangshürden: In allzu vielen Fällen ist eine systematische Hilfe zur Bewältigung von Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit nicht möglich, weil bürokratische Hürden den Zugang zu Hürden verstellen. Das betrifft z.B. den Ausschluss von Drittstaatsangehörigen, die Vorgabe von Residenznachweisen, die Festlegung eines „höchst zulässigen Wohnaufwands“ sowie Wohnungsgrößen etc. Diese Zugangshürden sollen zumindest temporär ausgesetzt und Spielräume zur Gewährung von Hilfen eingeräumt werden.
     
  • Streetwork und niederschwellige Gesundheitsversorgung: Um die Reichweite von WLH und Existenzsicherung zu verbessern, ist es dringend erforderlich, nachgehende und aufsuchende Angebote, z.B. Streetwork, medizinische Versorgung etc., aufzubauen.
     
  • Regionalisierung der WLH: Prävention von Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit ist auch außerhalb der Stadtgrenzen von großer Bedeutung. Deshalb sind Maßnahmen zur Regionalisierung der Hilfen dringend erforderlich.
     
  • Mietbremse oder (besser noch) Mietstopp: Für öffentliche sowie sozial geförderte Mietwohnungen sollen temporäre Erleichterungen von laufenden Zahlungsverpflichtungen angeboten werden, um arbeitslos gewordene bzw. durch Kurzarbeit betroffene Mieter*innen zu entlasten.

 


 

Übersicht: WLH-Angebote zu Zeiten von Krise und Lockdown

Um dem Abstandsgebot und Empfehlungen zur Prävention von Ansteckung zu entsprechen, hat auch die WLH weitgehend auf telefonische und digitale Beratung umgestellt:

  • Beratung: Beratungsstellen wurden mehr / minder geschlossen, in Einzelfällen fanden Beratungen durch das geöffnete Fenster bzw. durch die geöffnete Eingangstür statt. Mitarbeiter*innen mit Risikostatus aufgrund von Alter und Vorerkrankungen konnten auf Home Office ausweichen, der persönliche Kontakt zwischen Sozialarbeiter*innen und Klient*innen wurde radikal eingeschränkt und fand unter Einhaltung der Sicherheitsvorgaben nur in Dringlichkeitsfällen statt.
     
  • Soziale Sicherheit und Existenzsicherung: Die Sozialberatung der Sozialen Arbeit gGmbH hat zur Gewährleistung der Existenzsicherung (finanzielle Absicherung, Krankenversicherung etc.) für die Klient*innen die (vor der Haustüre stattgefundenen persönlichen) Erreichbarkeiten ausgeweitet. Die Zusammenarbeit mit Sozial- und Wohnungsamt, Meldeamt und Arbeitsamt hat sich weitgehend auf Online- oder telefonische Kontakte konzentriert und überwiegend sehr gut eingespielt.
     
  • Medizinische Versorgung: Leider wurden in dieser Zeit auch die niederschwelligen Angebote zur medizinischen Versorgung von Personen ohne Versicherung und/oder persönlichen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zurückgefahren. Der Virgil-Bus konnte mangels ärztlicher Betreuung keine Visiten mehr durchführen. Einzelne Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung, z.B. Tageskliniken und die suchtmedizinische Therapiestation der CDK, wurden geschlossen. In den WLH-Einrichtungen finden – trotz Anfrage – keine systematischen Testungen statt. Ein Notfallplan für Einrichtungen mit Gemeinschaftsräumen konnte erst spät realisiert werden.
     
  • Vernetzung und Zusammenarbeit: Unter den Rahmenbedingungen von Abstandsgebot und Versammlungsverbot waren natürlich auch die Zusammenarbeit der Einrichtungen und die Umsetzung vernetzter Hilfe beeinträchtigt. Video-gestützte Konferenzen haben sich nicht als vollwertiger Ersatz für inhaltliche Abstimmung und gemeinsames Handeln erwiesen.
     
  • Notschlafstellen: Notschlafstellen wurden auf ganztägigen Betrieb umgestellt, Mehrbettzimmer reduziert und Vorsorgen für die Einhaltung des Abstandsgebots getroffen. Temporär werden Wohnungen in der Plainstr. bereitgestellt und die Notschlafstellen maßgeblich entlastet.
     
  • Tagesaufenthalt: Das Tageszentrum im Haus Elisabeth wurde vorübergehend geschlossen und auf tägliche Essensausgabe umgestellt.
     
  • Wohnbetreuung in Einrichtungen: In den betreuten Unterkünften wurden die Fristen verlängert, um sicherzustellen, dass niemand in die Obdachlosigkeit entlassen werden muss. In Ansätzen konnten auch in den Zeiten des Lockdowns neue Wohnungen zugewiesen und der Einzug der Klient*innen in eigene Wohnungen realisiert werden, so dass die Einrichtungen den Bewohner*innenbestand reduzieren konnten.
     
  • Ambulante Wohnbetreuung: Die ambulante Wohnbetreuung in abgeschlossenen Wohnungen findet überwiegend im telefonischen Kontakt, beim Spaziergang oder via Fenster-Beratung statt. Von der Sanitätsabteilung des Landes wurden Schutzvorsorgen (Masken etc.) bereit gestellt, sodass in Einzelfällen auch ein Besuch in der Wohnung realisiert werden kann. Die Kooperation mit dem Wohnungsamt geht gut weiter, es können neue Wohnungen zugewiesen und Einzüge ins ambulant betreute Wohnen realisiert werden. Laufende Mietverträge werden nach Möglichkeit verlängert.
     
  • Häusliche Gewalt: Die Frauenhäuser in Salzburg verzeichnen vermehrt Kontakte wegen häuslicher Gewalt. Noch stehen freie Zimmer zur Verfügung, aber um bei einer zu erwartenden  Steigerung der Aufnahmeanfragen keine gewaltbetroffenen Frauen und Kinder abweisen zu müssen, braucht es dringend Nachfolgewohnungen für die jetzigen Bewohnerinnen. Derzeit stehen mehrere Frauen vor dem Ende ihres befristeten Aufenthalts, eine adäquate Wohnversorgung für die Zeit nach ihrem Auszug steht jedoch (noch) nicht bereit. Eine Verlängerung des Aufenthalts wurde von LR Klambauer jedoch abgelehnt.

Auf der einen Seite wurde somit das Angebot der WLH deutlich reduziert. Gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass viele Klient*innen sich sehr kooperativ gezeigt und den Auflagen bereitwillig entsprochen haben.

Generell ist jedoch zu beobachten, dass der Bedarf nach Beratung und persönlicher Unterstützung erheblich zugenommen hat. So hat sich z.B. das Beratungsaufkommen in der Sozialberatung der Caritas inzwischen um etwa die Hälfte der Kontakte (ca. +50%) erhöht.
 


 

Schrittweise Aufhebung des Lockdowns im Mai 2020

Mit Mitte Mai stehen nun weitgehende Lockerungen der Lockdown-Vorgaben an. Ungeachtet dessen wird auch weiterhin auf Abstandsgebot geachtet und der offene Zugang zu Beratung etc. stark reduziert. Unterm Strich ist festzustellen:

  • trotzdem bleiben Änderungen wirksam,
  • Niederschwelligkeit geht leider verloren.
  • Es gilt: Draußen warten, reduzierter Zugang,
  • insgesamt ist ein großer Bedarf nach Beratung festzustellen.

Inzwischen liegt auch ein Notfallplan der Sanitätsdirektion vor, Testungen in den WLH-Einrichtungen sind jedoch nicht angedacht (aus Kapazitätsgründen).

 

Viele Fragen sind aktuell offen

  • Wie wird es mit dem Notschlafstellen-Betrieb weitergehen?
  • Kann die 24 Stunden Betreuung in der Notschlafstelle Standard bleiben?
  • Wann wird das Tageszentrum das Angebot für wohnungslose Menschen öffnen?
  • Nach wie vor ist auch die Frage einer Verlängerung der Aufenthaltsfristen im Frauenhaus bzw. von Vorsorgen für eine adäquate Wohnversorgung im Anschluss an den geschützten Aufenthalt offen.
  • Aktuell stellt sich auch die Frage, wie mit EU-Bürger*innen, die in Salzburg gestrandet sind, umgegangen bzw. wie eine Unterbringung gewährleistet werden kann.

 

Ansturm auf Sozialberatungsstellen

Die Sozialberatungsstellen haben aktuell großen Zulauf neuer Klient*innen, Fragen der Existenzsicherung und der Sicherung der Wohnverhältnisse stellen sich vermehrt. Aktuell ist es zwar möglich, überhöhte Mietzahlungen zur Stundung anzumelden, das ist jedoch nur eine halbe Lösung, weil absehbar die Nachzahlung anstehen wird – ohne Sicherheit, ob diese dann auch geleistet werden kann. Die Rückmeldungen aus der Sozialberatung verweisen auch darauf, dass viele Menschen trotz existentieller Notlage (noch) keine Leistungen bekommen, z.B. weil es sprachliche Hürden gibt, weil keine ausreichenden Informationen zugänglich sind etc.

Perspektivisch sind eine Verschärfung prekärer Lebenslagen und damit eine Zunahme sozialer Ungleichheit etc. zu erwarten, ohne dass bereits Vorsorgen für die Prävention der ökosozialen Folgen von Pandemie und Lockdown getroffen wären. Zum Vergleich: In Folge der Wirtschaftskrise um 2008 konnte im Verlauf von fünf Jahren eine kontinuierliche Zunahme der registrierten Obdach- und Wohnungslosigkeit (+33%) beobachtet werden.[4]
 


[1]        https://www.sn.at/salzburg/wirtschaft/corona-virus-wuetet-am-arbeitsmarkt-31-500-salzburger-ohne-job-87115765

[2]        https://www.ams.at/regionen/salzburg/news/2020/04/kurzarbeit-auf-41-000-arbeitsplaetzen#salzburg

[3]        Siehe dazu Problemfeststellung und Maßnahmenvorschläge der BAWO unter: https://bawo.at/aktuelles

[4]        2008 waren in Österreich 9.297 Menschen registriert obdachlos, der Höchstwert wurde 2013 mit 15.053 Menschen verzeichnet. Die Summe registriert obdach- und wohnungsloser Menschen lag 2008 bei 16.844 Menschen, im Jahr 2013 bei 24.459, im Jahr 2018 bei 22.741 Menschen. BMASGK, Sozialbericht, Wien 2019, S. 25.

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